SIMPOSIO IN ONORE DI

MARIAN HEITGER


Università di Vienna, 15 Ottobre 2007

Einmaligkeit Selbigkeit Individualität – Zur Problematik

pädagogischer Leitbegriffe

Symposionsbericht

Christine Rabl (Wien)

 

Am 15. Oktober 2007 fand an der Universität Wien das Symposion Einmaligkeit Selbigkeit Individualität – Zur Problematik pädagogischer Leitbegriffe zu Ehren von emer. O. Univ.-Prof. Dr. Marian Heitger aus Anlass seines 80. Geburtstages statt.

Im feierlichen Rahmen der neu renovierten ehemaligen Kapelle am Campus der Universität Wien eröffnete Ines M. Breinbauer das Symposion mit herzlichen Worten an den Jubilar und begrüßte die zahlreich erschienen Gäste aus dem In- und Ausland.

 

 

Heitgers wichtiger Beitrag zur theoretischen Bearbeitung von Fragen der Bildung, Erziehung und Schule habe weit über disziplinäre Grenzen und den Wirkungsbereich des Wiener Instituts für Erziehungswissenschaft (heute Bildungswissenschaft) hinaus Resonanz erzeugt, wie Peter Kampits, Dekan der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien in seinen Grußworten hervorhob. Robert Hutterer, Vorstand des Instituts für Bildungswissenschaft dankte Marian Heitger für seine Bemühungen um das Wiener Institut, dessen Leitung Heitger für viele Jahre innehatte.

 

In seiner Laudatio unterstrich Heinz-Jürgen Ipfling die große Bedeutung des Denkens Marian Heitgers für die Erziehungswissenschaft und zeichnete den Schaffensweg des geschätzten Lehrers und Kollegen über die verschiedenen Stationen seines Wirkens nach. Der Dialog sei nicht nur ein zentraler Ausgangspunkt für Heitgers pädagogisches Verständnis, sondern zeichne auch seine Haltung im Austausch mit Fachkollegen und Kolleginnen sowie der Öffentlichkeit aus.

Die Fachvorträge des Symposiums würdigten Marian Heitgers Arbeiten zu zentralen Begriffen seines pädagogischen Denkens: Selbstbestimmung, Einmaligkeit und Individualität als nicht vom erziehungs- und bildungstheoretischen Diskurs zu suspendierende Begriffe; umso mehr als aktuelle bildungs- und gesellschaftspolitische Entwicklungen diese Begriffe nach und nach auszuhöhlen drohen.

Volker Ladenthin (Bonn) entfaltete seine Überlegungen entlang der Frage „Was ist das Selbst, das sich selbst bestimmt?“ Er problematisierte in seinem Vortrag die auf Problemlösung und in diesem Sinne auf (ökonomisch orientierte) Verwertungszwecke festschreibende vermeintliche Selbstbestimmung ebenso, wie die Vorstellung einer Selbstverwirklichung, die vom Paradoxon der Aufforderung zur Selbsttätigkeit absieht.

Ladenthin veranschaulichte, inwiefern einem durch liberale Gesellschaftstheorie konturierten Verständnis von Selbstbestimmung Voraussetzungen und Annahmen zugrunde liegen, die einer pädagogischen Auffassung von Selbstbestimmung – wie sie in Heitgers Denken zentral ist – entgegenstehen: Das neoliberale Menschenbild nehme den Menschen als vermeintlich psychologisch begründetes Konkurrenzwesen an, womit das Ziel von Selbstbestimmung darauf reduziert werde, andere zu verdrängen. Die neoliberale Wettbewerbslogik setze dementsprechend voraus, dass alle gleiche Startbedingungen vorfänden. Der Wettbewerb am freien Markt bestimme, in welcher Hinsicht sich das Selbst zu „bestimmen“ habe und schließe so Individualität als wettbewerbsfeindlich aus. Folglich sei aber die Frage der Zielsetzung von Selbstbestimmung immer schon an den Markt delegiert.

Für die Pädagogik habe dies zur Folge, dass die Prüfung von Geltung und Wahrheit als Ziel von Bildungsprozessen auf die „Vermittlung“ von Wissen und Kompetenzen beschränkt werde. Volker Ladenthin beschrieb dies am Beispiel des Sprachunterrichts und zeigte, in welcher Weise die Konzentration auf Motivation und die so genannte Selbstkompetenz an Stelle der Selbstbestimmung, der kritiklos hinzunehmenden Fremdbestimmung zuarbeite. Vereinfachende Ursache-Wirkungsmodelle und Konzepte der Verhaltensmodifikation würden der pädagogischen Aufgabe nicht gerecht. Vielmehr sei die Gleichzeitigkeit von Lernen und Lehren und die gemeinsame Prüfung von Inhalten als auch Zielen durch SchülerInnen und LehrerInnen die Bedingung gleichermaßen, wie das Ziel von Lern- und Bildungsprozessen und so in ihrer paradoxalen Struktur der Pädagogik aufgegeben.

Der gegenwärtige Umbau der Schulen und Universitäten im Sinne einer auf Bildungsstandards und Kompetenzniveaus ausgerichteten Bildungspolitik zeige mehr denn je die Aktualität und Notwendigkeit einer pädagogischen Konzeption von Selbstbestimmung.

Jörg Ruhloff (Wuppertal) griff anschließend in seinem Vortrag die Idee der Einmaligkeit pädagogischen Handelns auf und entfaltete daran anknüpfend eine „Kritik der wissenschaftspolitischen Machtergreifung“ der empirischen Bildungsforschung. Vor dem Hintergrund des pädagogischen Gebrauchs des Begriffs der Einmaligkeit in der prinzipienwissenschaftlichen Tradition Alfred Petzelts zeigte er methodologische Engführungen und problematische normative Implikationen der empirischen Bildungsforschung für den Lern- und Bildungsbegriff auf.

So sei gegenwärtig in der Frage nach der Stellung der empirischen Forschung in der Pädagogik ein klares Bekenntnis zur normativen Rahmung empirischer Bildungsforschung zu vernehmen. Zuweilen werde dezidiert vom Bedarf einer „präskriptiven Bildungsforschung“ gesprochen, der zugetraut werde, pädagogische Probleme umfassend und zielorientiert lösen zu können. Gleichzeitig werde Bildungstheorie lediglich die Rolle einer ergänzenden – die Schwierigkeiten in der Vermessung der so genannten pädagogischen Realität kompensierenden ­– Hilfsdisziplin zugewiesen. Theoriebildung würde so auf die Notwendigkeiten einer an den Bedingungen von Messinstrumenten ausgerichteten empirischen Forschung verpflichtet oder aber bildungs- bzw. wissenschaftspolitisch als bloße „Rhetorik“ abgetan. Den im Ausbau begriffen empirischen Großprojekten wie PISA sei vor allem eine normative Implikation immanent: empirische Bildungsforschung ziele darauf ab, die unhintergehbare Einmaligkeit pädagogischen Handelns zu überwinden. Unter diesen Voraussetzungen erscheine Einmaligkeit einem wissenschaftlich begründeten pädagogischen Wissen und daraus resultierenden Handlungskonzepten geradezu gegenläufig.

Demgegenüber explizierte Jörg Ruhloff sein Verständnis von Einmaligkeit als eine wesentliche Prämisse für pädagogische Theorie und darauf begründete pädagogische Praxis. Unter Bezug auf das Werk Alfred Petzelts bzw. dessen Fortführung durch Marian Heitger wies Ruhloff darauf hin, dass sowohl Urteile über die menschliche Verfasstheit als auch die Rede von dem, was pädagogisch genannt werden könne, nur unter Beachtung des jeweiligen Bedeutungsrahmens sinnstiftend möglich sei. Quantitative Messungen allein verfehlten die pädagogische Dimension immer schon, da das ihnen zugrunde liegende Paradigma simpler Ursachen-Wirkungsforschung methodologisch auf Generalisierung abziele und somit die prinzipiell anzunehmende Einmaligkeit spezifisch pädagogischer Situationen verkenne. Insofern seien die Standardisierungsbemühungen des Unterrichtsgeschehens der empirischen Bildungsforschung grundsätzlich in Frage zu stellen.

Die beiden Erkenntnisweisen (empirische Bildungsforschung und Bildungstheorie bzw. pädagogische Theorie) könnten – so das Fazit des Vortrages – nicht gegeneinander aufgewogen werden; die Verdrängung der einen durch die andere führe notwendig zu Verzerrungen wissenschaftlich-pädagogischer Erkenntnis.

Die Vorträge und Grußworte an den Jubilar wurden – mit einem ergänzenden Beitrag von Alfred Schirlbauer – in einer kleinen, von der Universität Wien herausgegebenen Schrift zusammengefasst und Marian Heitger als Präsent überreicht.