<<Back

 

Michele Borrelli (1947-2021) - Nachruf

 

 

Wir, der wissenschaftliche Beirat der Topologik, trauern mit der Ko-Herausgeberin Francesca Caputo um unseren hoch verehrten Kollegen und treuen Freund Michele Borrelli, der in der Nacht vom 2. auf den 3. März 2021 seiner schweren, tapfer ertragenen Krankheit erlegen ist.

Mit Michele Borrelli verlieren seine Freundinnen und Freunde, seine Schülerinnen und Schüler, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und seine Kolleginnen und Kollegen nicht nur einen philosophisch-pädagogischen Denker von internationalem wissenschaftlichen Rang, sondern auch einen Menschen, der sich stets durch freundschaftliche Zugewandtheit, Zuverlässigkeit und einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und Loyalität auszeichnet hat.

Als Jugendlicher verließ Michele Borrelli seine Heimat Süditalien und kam nach Deutschland. Nach seinem Studium der Anthropologie, Romanistik, Politikwissenschaft und Erziehungswissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen, u.a. bei Kurt Gerhard Fischer, legte er 1972 das Staatsexamen für das Lehramt an Haupt- und Realschulen ab. Zwei Jahre später schloss er das Studium mit dem Magister Artium ab. 1978 wurde er an der Justus-Liebig-Universität promoviert. Anschließend lehrte und forschte er an der Bergischen Universität Wuppertal zunächst als Assistent an der Professur für Systematische und Historische Pädagogik bei Jörg Ruhloff. Bereits kurze Zeit später wurde er dort auf eine eigene Professur auf Zeit berufen. In Wuppertal hat Michele Borrelli die Interkulturelle Pädagogik maßgeblich auf den Weg gebracht. Vieles, was heute unter der Bezeichnung „Migrationspädagogik“ diskutiert wird, war bereits in seinem Denken verankert. Während er in Deutschland lebte, lehrte er auch an den Universitäten Frankfurt, Gießen und Nürnberg. Im Jahr 1992 wurde Michele Borrelli zum außerordentlichen Professor für Allgemeine Pädagogik an der Università degli Studi della Calabria ernannt. Dort nahm er 2001 den Ruf als Ordinarius für Allgemeine Pädagogik an der Fakultät für Geisteswissenschaften an.

Von Kalabrien aus baute er einen intensiven italienisch-deutschen Dialog in den Bereichen Philosophie und Pädagogik auf. Mit den von ihm initiierten, übersetzten und herausgegebenen Bänden zur deutschen Gegenwartspädagogik hat Michele Borrelli diese in Italien bekannt gemacht und den bis heute bestehenden regen wissenschaftlichen Austausch fortwährend gepflegt und intensiviert. Zugleich fanden seine umfangreichen philosophischen und sozialwissenschaftlichen Studien internationale Beachtung, auch über den europäischen Diskurs hinaus und zunehmend auch in interdisziplinären Kontexten. Vor diesem Hintergrund gründete Michele Borrelli 2006 die TOPOLOGIK, die sowohl online als auch als Printversion erscheint.

Zu seinen primären Forschungsgebieten zählten die Transzendentalphilosophie Kants und die Krise der Vernunft, die Kritik der Postmoderne und die Grundlagenprobleme moderner Wissenschaften, die Auseinandersetzung mit den zentralen Denkern der Ontologie, der Analytischen Philosophie und der Hermeneutik. Michele Borrelli entwickelte eine dialektisch-ontologische Idee der Pädagogik und ein Konzept von Bildung, in dem der Vernunftbegriff Kants als ein nicht nur theoretischer, sondern auch praktischer und ästhetischer begriffen wird und erneut zum Tragen kommt. Trotz seiner Kritik an der abendländischen Paideia wendete Michele Borrelli sich dagegen den Bildungsbegriff der Beliebigkeit der Deutungen preiszugeben.

In seinen philosophischen Studien richtete Michele Borrelli ein besonderes Augenmerk auf die Diskursethik, die Sprachphilosophie und die Transzendentalpragmatik Karl-Otto Apels. Er gründete das Internationale Forschungszentrum Karl-Otto Apel“ in Acquappesa, Cosenza, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Erforschung von Leben und Werk Apels und die Weiterentwicklung seines Denkens voran zu treiben. Das Zentrum vereinigt zahlreiche renommierte internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und zeichnet besondere philosophische Leistungen einmal jährlich mit dem „Premio Internazionale Karl-Otto Apel per la Filosofia“ aus.

Die stetigen und sehr ergiebigen Bemühungen um den internationalen Austausch, die sich über Jahrzehnte hinweg in „Wort, Werk und Tat“ widerspiegelten, wussten nicht nur diejenigen zu schätzen, die Michele Borrelli wissenschaftlich verbunden waren. Sein unermüdlicher Einsatz wurde auch politisch gewürdigt: 2017 wurde sein besonderes Engagement für die deutsch-italienischen Beziehungen mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland honoriert, das ihm vom damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck überreicht wurde.

Das wissenschaftliche Œuvre Borrellis umfasst mehr als sechzig Monographien und Herausgeberschaften und mehr als 250 Artikel in Handbüchern, Sammelbänden und Zeitschriften. Eine vollständige Bibliographie seiner Werke befindet sich auf seiner homepage, www.micheleborrelli.net. Zu seinen jüngeren Arbeiten zählt die Entwicklung eines Neuen Humanismus, der von einem Konsens über ein Mindestmaß an einer universell teilbaren Ethik ausgeht, und der damit einem zunehmenden Nihilismus entgegenwirkt.

Dass Michele Borrelli neben diesem umfassenden wissenschaftlichen Werk auch Gedichte schrieb, dürfte weniger bekannt sein: Sein letztes Buch „L’Umano e l’Eterno. Liriche e voci di una esistenza al crepuscolo” befindet sich im Publikationsprozess. Bereits 2008 erschien sein poetischer Band „Ho provato a dirti: amore. La voce del cuore“.

So wie die Stimme des Wissenschaftlers Michele Borrelli in unseren Köpfen bleibt, so hallt seine Stimme als Mensch in unseren Herzen wider.        

Jutta Breithausen

Die Ko-Herausgeberin

Francesca Caputo Ph.D.

Der wissenschaftliche Beirat

Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Dietrich Benner (Humboldt University of Berlin, Germany)

Prof. Dr. Armin Bernhard (University of Duisburg-Essen, Germany)

Prof.in Dr.in Xu Binyan (East China Normal University of Shanghai, China)

Prof.in Dr.in Ines Maria Breinbauer (University of Vienna, Austria)

Dr.in Jutta Breithausen (Wuppertal, Germany)

Prof.in Dr.in Rita Casale (University of Wuppertal, Germany)

Prof. Dr. Lucio Cottini (University of Udine, Italy)

Prof. Dr. em. Franco Crespi (University of Perugia, Italy)

Prof. Dr. Santo Di Nuovo (University of Catania, Italy)

Prof. Dr. Philippe Foray (J. Monnet University of Saint-Etienne, France)

Prof. Dr. Dr. h.c. Raúl Fornet-Betancourt (Universities of Bremen / Aachen, Germany)

Prof. Dr. E. Ángel Garrido-Maturano (Geohistorical Research Institute, Conicet, Resistencia, Argentina)

Prof. Dr. Reinhard Hesse (University of Freiburg, Germany)

Prof. Dr. em. Helmut Heid (University of Regensburg, Germany)

Prof. em. Dr. Walter Müller (University of Würzburg, Germany)

Nadezda Pelcová Ph.D. (Charles University in Prague, Czech Republic)

Prof. Dr. Roland Reichenbach (University of Basel, Switzerland)

Prof. Alfredo Rocha de la Torre Ph.D. (Pedagogical and Technological University of Colombia)

Prof.in Dr.in Antonella Valenti (University of Calabria, Italy)

Prof. Dr. Christopher Winch (King's University College London, England)

Prof. Dr. Anatoliy Yermolenko (National Academy of Sciences of Ukraine, Kiev)

Prof. Dr. Santiago Zabala (ICREA / University of Barcelona, Spain)

Prof. em. Dr. Peter Zedler (University of Erfurt, Germany)