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Michele Borrelli
Wir, der wissenschaftliche Beirat der Topologik, trauern mit der
Ko-Herausgeberin Francesca Caputo um unseren hoch verehrten Kollegen
und treuen Freund Michele Borrelli, der in der Nacht vom 2. auf den
3. März 2021 seiner schweren, tapfer ertragenen Krankheit erlegen
ist.
Mit Michele Borrelli verlieren seine Freundinnen und Freunde, seine
Schülerinnen und Schüler, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und
seine Kolleginnen und Kollegen nicht nur einen
philosophisch-pädagogischen Denker von internationalem
wissenschaftlichen Rang, sondern auch einen Menschen, der sich stets
durch freundschaftliche Zugewandtheit, Zuverlässigkeit
und einen
ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und Loyalität auszeichnet
hat.
Als Jugendlicher verließ Michele Borrelli seine Heimat Süditalien
und kam nach Deutschland. Nach seinem Studium der Anthropologie,
Romanistik, Politikwissenschaft und Erziehungswissenschaft an der
Justus-Liebig-Universität Gießen, u.a. bei Kurt Gerhard Fischer,
legte er 1972 das Staatsexamen für das Lehramt an Haupt- und
Realschulen ab. Zwei Jahre später schloss er das Studium mit dem
Magister Artium ab. 1978 wurde er an der Justus-Liebig-Universität
promoviert. Anschließend lehrte und forschte er an der Bergischen
Universität Wuppertal zunächst als Assistent an der Professur für
Systematische und Historische Pädagogik bei Jörg Ruhloff. Bereits
kurze Zeit später wurde er dort auf eine eigene Professur auf Zeit
berufen. In Wuppertal hat Michele Borrelli die Interkulturelle
Pädagogik maßgeblich auf den Weg gebracht. Vieles, was heute unter
der Bezeichnung „Migrationspädagogik“ diskutiert wird, war bereits
in seinem Denken verankert. Während er in Deutschland lebte, lehrte
er auch an den Universitäten Frankfurt, Gießen und Nürnberg.
Im Jahr 1992 wurde Michele
Borrelli zum außerordentlichen Professor für Allgemeine Pädagogik an
der Università degli Studi della Calabria ernannt. Dort nahm er 2001
den Ruf als Ordinarius für Allgemeine Pädagogik an der Fakultät für
Geisteswissenschaften an.
Von Kalabrien aus baute er einen
intensiven italienisch-deutschen Dialog in den Bereichen Philosophie
und Pädagogik auf. Mit den von ihm initiierten, übersetzten und
herausgegebenen Bänden zur deutschen Gegenwartspädagogik hat Michele
Borrelli diese in Italien bekannt gemacht und den bis heute
bestehenden regen wissenschaftlichen Austausch fortwährend
gepflegt und intensiviert. Zugleich fanden seine umfangreichen
philosophischen und sozialwissenschaftlichen Studien internationale
Beachtung, auch über den europäischen Diskurs hinaus und zunehmend
auch in interdisziplinären Kontexten. Vor diesem Hintergrund
gründete Michele Borrelli 2006 die TOPOLOGIK, die sowohl online als auch
als Printversion erscheint.
Zu seinen primären Forschungsgebieten zählten die
Transzendentalphilosophie Kants und die Krise der Vernunft, die
Kritik der Postmoderne und die Grundlagenprobleme moderner
Wissenschaften, die Auseinandersetzung mit den zentralen Denkern der
Ontologie, der Analytischen Philosophie
und der Hermeneutik.
Michele Borrelli entwickelte eine dialektisch-ontologische Idee der
Pädagogik und ein Konzept von Bildung, in dem der Vernunftbegriff
Kants als ein nicht nur theoretischer, sondern auch praktischer und
ästhetischer begriffen wird
und erneut zum Tragen kommt. Trotz seiner Kritik an der
abendländischen Paideia wendete Michele Borrelli sich dagegen den
Bildungsbegriff der Beliebigkeit der Deutungen preiszugeben.
In seinen philosophischen Studien richtete Michele Borrelli ein
besonderes Augenmerk auf die Diskursethik, die Sprachphilosophie und
die Transzendentalpragmatik Karl-Otto Apels. Er gründete das
„Internationale Forschungszentrum Karl-Otto Apel“ in Acquappesa,
Cosenza, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Erforschung von
Leben und Werk Apels und die Weiterentwicklung seines Denkens voran
zu treiben. Das Zentrum vereinigt zahlreiche renommierte
internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und zeichnet
besondere philosophische Leistungen einmal jährlich mit dem „Premio
Internazionale Karl-Otto Apel per la Filosofia“ aus.
Die stetigen und sehr ergiebigen Bemühungen um den internationalen
Austausch, die sich über Jahrzehnte hinweg in „Wort, Werk und Tat“
widerspiegelten, wussten nicht nur diejenigen zu schätzen, die
Michele Borrelli wissenschaftlich verbunden waren. Sein
unermüdlicher Einsatz wurde auch politisch gewürdigt: 2017 wurde
sein besonderes Engagement für die deutsch-italienischen Beziehungen
mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes der Bundesrepublik
Deutschland honoriert, das ihm vom damaligen Bundespräsidenten
Joachim Gauck überreicht wurde.
Das wissenschaftliche Œuvre Borrellis umfasst mehr als sechzig
Monographien und Herausgeberschaften und mehr als 250 Artikel in
Handbüchern, Sammelbänden und Zeitschriften. Eine vollständige
Bibliographie seiner Werke befindet sich auf seiner homepage,
www.micheleborrelli.net.
Zu seinen jüngeren Arbeiten zählt die Entwicklung eines Neuen
Humanismus, der von einem Konsens über ein Mindestmaß an einer
universell teilbaren Ethik ausgeht, und der damit einem zunehmenden
Nihilismus entgegenwirkt.
Dass Michele Borrelli neben diesem umfassenden wissenschaftlichen
Werk auch Gedichte schrieb, dürfte weniger bekannt sein: Sein
letztes Buch „L’Umano e l’Eterno. Liriche e voci di una esistenza al
crepuscolo” befindet sich im Publikationsprozess. Bereits 2008
erschien sein
poetischer Band „Ho provato a dirti: amore. La voce del cuore“.
So wie die Stimme des Wissenschaftlers Michele Borrelli in unseren
Köpfen bleibt, so hallt seine Stimme als Mensch in unseren Herzen
wider.
Jutta Breithausen
Die Ko-Herausgeberin
Francesca Caputo Ph.D.
Der wissenschaftliche Beirat
Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Dietrich
Benner (Humboldt University of Berlin, Germany)
Prof. Dr. Armin Bernhard
(University of Duisburg-Essen, Germany)
Prof.in Dr.in Xu Binyan (East China
Normal University of Shanghai, China)
Prof.in Dr.in Ines Maria Breinbauer
(University of Vienna, Austria)
Dr.in Jutta Breithausen (Wuppertal,
Germany)
Prof.in Dr.in Rita Casale (University of
Wuppertal, Germany)
Prof. Dr. Lucio Cottini (University of
Udine, Italy)
Prof. Dr. em. Franco Crespi (University
of Perugia, Italy)
Prof. Dr. Santo Di Nuovo (University of
Catania, Italy)
Prof. Dr. Philippe Foray (J. Monnet
University of Saint-Etienne, France)
Prof. Dr. Dr. h.c. Raúl Fornet-Betancourt
(Universities of Bremen / Aachen, Germany)
Prof. Dr. E. Ángel Garrido-Maturano
(Geohistorical Research Institute, Conicet, Resistencia, Argentina)
Prof. Dr. Reinhard Hesse (University of
Freiburg, Germany)
Prof. Dr. em. Helmut Heid (University of
Regensburg, Germany)
Prof. em. Dr. Walter Müller (University
of Würzburg, Germany)
Nadezda Pelcová Ph.D. (Charles University
in Prague, Czech Republic)
Prof. Dr. Roland Reichenbach (University
of Basel, Switzerland)
Prof. Alfredo Rocha de la Torre Ph.D.
(Pedagogical and Technological University of Colombia)
Prof.in Dr.in Antonella Valenti
(University of Calabria, Italy)
Prof. Dr. Christopher Winch (King's
University College London, England)
Prof. Dr. Anatoliy Yermolenko (National
Academy of Sciences of Ukraine, Kiev)
Prof. Dr. Santiago Zabala (ICREA /
University of Barcelona, Spain)
Prof. em. Dr. Peter Zedler (University of
Erfurt, Germany)
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